New Work – Zusammenarbeit neu gestalten

Zu viele Überstunden, zu großer Stress, zu viele Digitalisierungsprojekte ohne echte Erfolge, unzufriedene Mitarbeiter…zeigen die Notwendigkeit neuer Weg der Zusammenarbeit (New Work). Viele heutige Probleme lassen sich nicht mehr mit bisherigen Formen von Organisation, Arbeit und Führung lösen. Sie erfordern neues Denken und neue Strukturen. Dieser Artikel ist der Versuch einer kurzen Herleitung und Einordnung von neuen Ansätzen, die auch als New Work beschrieben werden können.

Warum überhaupt New Work?

Umsatz versus Überzeugung

Man sagt, der Mensch optimiert immer auf das ihm knappste Gut. Vor nicht allzu langer Zeit war dies in den meisten Fällen das Geld. Allerdings fand hier in den letzten Jahren eine Verschiebung zugunsten der Lebenszeit statt. Und beim Abwägen, an wen wir einen größeren Teil unserer Lebenszeit abgeben, sind Sinn und Überzeugung ein wichtiges Entscheidungskriterium für die Wahl des Arbeitgeber. Daneben geht es auch um Wünsche wie der nach der Vereinbarkeit von Familie und Arbeit oder einem flexiblen, ortsunabhängigen Arbeiten.

Ein Großteil der Unternehmen bewertet ihren Unternehmenserfolg heute noch hauptsächlich auf Basis des Gewinns und steuert Unternehmen und Mitarbeiter*innen entsprechend. Überzeugungsgetriebene Unternehmens-Strategien die auch im Arbeitsalltag präsent und transparent sind, fehlen hingegen oft (siehe z.B. Studie "Combinig Profit and Purpose"). In der Konsequenz entstehen Ineffizienzen, da die größte Motivation zu sehr guter Arbeit über den eigenen Beitrag zum Sinn und Zwecke, oder auch zum sogenannten Purpose,  zu erzielen wäre. 

Starre Arbeitsorganisation versus Flexibilität

Nach wie vor sind in vielen Bereichen der Wirtschaft Überstunden eine Selbstverständlichkeit, obwohl sich die verlängerte Arbeitszeit nicht zwingend mit großer Wirksamkeit oder gar mit Fortschritt verknüpfen lässt. Oft wird der Arbeitsalltag in Unternehmen sogar eher zu einem Großteil von Abstimmungs- und Synchronisationsprozessen bestimmt. Tradierte Unternehmen versuchen häufig auf eine besonders angestrengter Art und Weise nach Lösungen, um am digitalen Markt zu bestehen. Gleichzeitig tun sie sich schwer, sich von Altbewährtem zu trennen und tatsächlich neue Wege für Produkte aber auch in der Art und Weise der Zusammenarbeit zu finden. 

Das führt zu elementaren Nachteilen in einem schnelllebigen Umfeld, in dem jederzeit neue Konkurrenten oder neue Technologien Marktverhältnisse fundamental verändern können. Zudem sind diese Unternehmen kaum mehr in der Lage im Wettbewerb um die besten Talente mit ihren Wünschen nach flexiblen Arbeitsformen wie Teilzeitmodellen oder ortsunabhängigem Arbeiten zu bestehen. Notwendige dynamische Veränderungen und Orientierung an den menschlichen Bedürfnissen mit Blick auf Kunden und Mitarbeiter sind kaum möglich.

Einheitliche Produkte versus individuelle Kundenanforderungen

Als Produkt- und Serviceanbieter sind Unternehmen zusätzlich gefordert. Unsere immer diverser werdende Gesellschaft mit Patchwork-Familien, Veganer*innen, alleinerziehenden Vätern und Menschen mit internationalen Wurzeln, verlangen nach individuellen und gleichzeitig einfachen Lösungen. Sie erwarten zum Beispiel kein standardisiertes Status-Auto mehr, sondern suchen nach E-Autos, Familienwagen oder einfach nur noch grundsätzlich nach Mobilitätslösungen.

Individuelle Produkte und Services benötigen Entscheidungsstrukturen ganz nah am Kunden, da nur dort der konkrete individuelle Wunsch erkannt werden können. Kein Management kann diese hundert tausende einzelne Wünsche mehr überblicken oder gesamt-gültige Entscheidungen treffen, die wirklich allen Kund*innen zugute kommen. Die Notwendigkeit Entscheidungsgewalt und -kompetenzen müssen neu gedacht werden. 

Statt Hierarchien werden flache, dynamische Teamstrukturen entstehen, bei denen das Kundenbedürfnis im Mittelpunkt steht, für das vom Marketingverantwortlichen zum Produktentwickler zur Entwicklerin alle gemeinsame Entscheidungen im Sinne der Optimierung des Kundennutzen treffen (siehe Grafik).

Von Hierarchien zu Netzwerkorganisationen

Von Hierarchien zu Netzwerkorganisationen, eigene Darstellung

Komplexität statt Kompliziertheit und Lernen statt Wissen

Die beschriebenen Probleme sind häufig die Reaktionen auf eine ganz konkrete Situation: die Erhöhung der Komplexität in unserer Lebens- und Arbeitswelt. Durch Digitalisierung, Globalisierung, veränderte Prioritäten der Arbeitskräfte und die gestiegene Diversität in unserer Gesellschaft wird es immer schwieriger, Problemlösungen vorherzusehen.

Reines Wissen per se verliert seine Relevanz und schnelles Lernen durch Experimentieren gewinnt an Bedeutung. Das ist die vielzitierte Veränderung von Kompliziertheit hin zu Komplexität. Wer hierzu sein Wissen vertiefen will, dem sei das Buch Komplexithoden* wärmstens empfohlen.

New Work Definition

New Work ist in diesem Problemfeld keine Zauberformel, die angewendet alle heutigen Probleme von alleine löst. Es ist weder eine konkrete Methode noch ein bestimmtes Konzept sondern vielmehr eine Zustandsbeschreibung. Wir alle erleben täglich die neuen Anforderungen an die Zusammenarbeit.

Dem Sammelbegriff New Work können verschiedene Ansätze, Methoden und Denkmodelle zugeordnet werden, die alle Möglichkeiten für den Umgang mit der gestiegenen Komplexität bieten. Eine Auswahl dieser Möglichkeiten stellen wir am Ende des Artikels vor. In diesem Kontext gilt jederzeit: es gibt keine richtigen Antworten auf alle Herausforderungen. Die Lösungen und Auswahl der Methoden oder deren Adaption sind so individuell wie die Organisationen und Menschen dieser Welt.

Bestimmte Eigenschaften sind allerdings bei allen dieser Ansätze sichtbar, wie zum Beispiel:

  • Flexibilität wichtiger als Planung
  • Datenbasierte Experimente im Heute wichtiger als Wissen der Vergangenheit
  • Kundenbedürfnisse wichtiger als "Chef/Innen-Bedürfnisse" 
  • Effiziente Kommunikation wichtiger als effiziente Prozesse

New Work Prinzipien

Abgeleitet von diesen Gemeinsamkeiten kann man auch von einer New Work Prinzipien sprechen, die mit der Benutzung einher gehen. Sie sind in vier verschiedene Bereiche unterteilbar:

  • Menschen in den Fokus aller Ziele und Lösungsansätze stellen, ob als Kunde, Mitarbeiter oder Partner
  • Wirksamkeit der Tätigkeiten durch klaren Purpose/Vision und Zielstrukturen stärken, die der ganzen Organisation ermöglichen am gleichen Strang zu ziehen
  • Schnelles Lernen in kleinen Schritten für Flexibilität in Organisation und Produkt ermöglichen
  • Dezentrale, autonome Entscheidungskompetenzen dorthin geben, wo Bedürfnisse sichtbar werden

Um diese Prinzipien zu aktivieren, sind Veränderung auf drei Ebenen der Zusammenarbeit notwendig: bei Ansätzen und Arbeitsweisen, aber auch bei Haltungen und Glaubenssätzen. Die schnellste Veränderung ist durch das Benutzen neuer Arbeitsweisen möglich. Am langsamsten und anspruchsvollsten funktioniert die Veränderung auf der Ebene der Glaubenssätze, da wir viele dieser bereits die Summer unserer Lebensjahre lang in uns tragen.

Am langsamsten funktioniert die Veränderung auf der Ebene der Glaubenssätze, da wir viele dieser bereits die Summer unserer Lebensjahre lang in uns tragen. Sie sind Überzeugungen, nach denen sich meist unbewusst das Handeln von Mitarbeitern ausrichtet und damit ein wichtiger Bestandteil der Unternehmenskultur. Sie äußern sich zum Beispiel in Sätzen wie „Die Kollegen wollen ja gar keine Verantwortung übernehmen“ oder „Wer viel arbeitet wird erfolgreich“.

Transformation durch Tools, Haltung und Glaubenssätze

Transformation durch Tools, Haltung und Glaubenssätze, eigene Darstellung

New Work Tools

Es gibt für die Anwendung der Prinzipien jeweils eine Vielzahl an Ansätzen, Arbeitsweisen und Strukturgerüsten, die sowohl bei der Arbeit von Individuen, Teams oder auch ganzen Organisationen ansetzen (zum Beispiel Kontinuierliches Feedback, OKRs, Agile Methoden wie Scrum, Design Thinking und viele mehr).

Langfristig bedarf die Transformation von Unternehmen ständige Impulse zur Veränderung auf allen Ebenen und Organisationseinheiten. Kurzfristig sind die jeweils spezifische Ausgangslage und konkret gesteckte Ziele für die nahe Zukunft der Rahmen für erste Schritte zur Veränderung.

Die folgende Übersicht ist ein Versuch, Denkansätze, Werkzeuge und Methoden einzuordnen, die häufig im Zusammenhang mit New Work genannt werden: 

Wirkungsebenen von New Work Tools

Wirkungsebenen von New Work Tools

»Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel.«  (Paul Watzlawik). Das gilt heute noch mehr als früher. Auch New Work Ansätze halten keine Standardlösungen für alle Probleme bereit. Selbst bei der gleichen Ausgangssituation können Organisationen, wenn sie als „Lebendige Systeme“ verstanden werden, ganz individuell auf die Veränderung oder den Ansatz reagieren.

Welcher Ansatz dann im Einzelfall tatsächlich wirksam sein kann, beziehungsweise wie er noch für die spezifische Situation angepasst werden muss, ist stets individuell zu entscheiden und testen.

New Work mit OKR (Objectives & Key Results)

Oft sind agile Methoden, die unsere konkrete Arbeit organisieren (das WAS wir tun) oft die ersten Berührungspunkte mit den sogenannten New Work Tools. In Softwareorganisationen und dort insbesondere im IT Bereich wird schon lange mit Methoden wie KANBAN oder SCRUM die Arbeit in flexible, kollaborativ zu bearbeitende Einheiten reduziert, um schnell auf erste Kundenreaktionen oder andere Veränderungen in der Entwicklung reagieren zu können.

Diese Methoden können allerdings kaum ihr tatsächliches Potential entfalten, wenn sie innerhalb von traditionellen und eher unflexiblen Strukturen der Gesamtorganisation eingebettet sind. Dazu gehört unter anderem auch die Vorrausplanung mit 3-Jahresplänen für den Umsatz, daran gekoppelten Bonusvereinbarungen oder fixierten Produkt-Roadmaps für das gesamte Jahr. 

Auch die Ebene der Ziele (das WARUM wir etwas tun) benötigt in Zeiten hoher Unvorhersehbarkeiten mehr Flexibilität. OKRs (Objectives & Key Results) ist ein mögliches agiles Zielsystem, dass genau diese und weitere New Work-zurechenbare Eigenschaften in der gesamten Organisation ermöglichen kann.

OKR Zyklus

OKR Zyklus

Typischerweise wird jedes Quartal für die gesamte Organisation die Frage gestellte: Was ist der nächste, konkrete Schritt auf unserem Weg unseren Purpose zu erfüllen. Mit Hilfe dieses klaren und durch die Ableitung vom Purpose inspirierenden „Nordsterns“ wird das definierte Objective für alle Mitarbeiter*innen und Führungskräfte transparent. Eine der am meisten unterschätzen Merkmale von Zielen - Ziele zu haben ist eines der wichtigsten Kriterien, sie auch tatsächlich erfolgreich zu erreichen).

Immer an das Objective gebunden sind Key Results, die das qualitative Objective fassbar und messbar machen. Im Unterschied zur typischen Umsatzplanung beschreiben Key Results den Zielzustand von mehreren Perspektiven, wie zum Beispiel Umsatz, aber auch Qualitätsaspekten wie der Nutzer*innenzufriedenheit oder auch internen Performanceaspekten.

OKR Beispiel

OBJECTIVE:

Neues Kundensegment Online-Marketers erobern


KEY RESULTS:

  • KR 1: 100.000 Leads von Kundensegment in Konversions-Funnel 
  • KR 2: Erste 50.000 Euro Umsatz im Segment 
  • KR 3: Kundenzufriedenheit im Segment von 50% auf 80% erhöhen
  • KR 4: Vier neue Produkte für Zielgruppe entwickelt

Eine Vorab-Quantifizierung des Zielzustandes ermöglicht eine hohe Sachlichkeit in der Diskussion um notwenige Entscheidungen. Statt der willkürlichen Entscheidung der Chefin ("Wir brauchen eine App") können Führungskräfte und Mitarbeiter alle klar bewerten, welche Aktivitäten den größten Hebel haben, um dem gesteckten Quartalsziel maximal näher zu kommen. OKRs sind dadurch ein transparentes Priorisierungsinstrument für die gesamte Organisation. Mehr über die Durchführung von OKR Definitionsworkshops findest du in unserem Artikel OKR Workshop – 6 Schritte für mehr Wirkung.

Die Zielformulierung wird zu Beginn des Quartals kaskadiert in alle Organisationsbereiche, die sich die Frage stellen, welches ihr Beitrag sein kann, um dieses Gesamtziel zu erreichen.

Sind die OKR Sets finalisiert, wird auf allen Ebenen ebenfalls transparent der Fortschritt in wöchentlichen Check-ins festgehalten. Das ermöglicht eine sehr flexible Gegensteuerung, sollten umgesetzte Maßnahmen nicht die gewünschte Wirkung erzielen. Die Steuerung kann bereits durch die Mitarbeiter und Teams selbst schnell umgesetzt werden, da sie ihr Ziele und den Erreichungsgrad jederzeit kennen. Gleichfalls erhalten Führungskräfte durch den jederzeit bekannten Stand der Zielerreichung ein hohes Maß an Sicherheit, die sie im besten Falle ihren Mitarbeiter*innen durch mehr Freiräume zurückgeben können. Mehr über die Durchführung von OKR Check-ins erfährst du in unserem Artikel OKR Check-in: Erfolg durch Sichtbarkeit.

Wird am Quartalsende die Zielerreichung, aber auch der Prozess selbst reflektiert, kann OKRs zusätzlich als Lerninstrument für die Organisationsentwicklung benutzt werden.

OKRs werden übrigens oft von Organisationen benutzt, die bereits mit agilen Methoden der Arbeitsorganisation zusammenspielen, weil sie so Agilität nicht nur im IT Team verwurzeln können. In diesem Artikel liest du, wie OKRs und Agiles Produktmanagement zusammenspielen.

New Work Tipps

New Work ist keine Lösung, sondern bietet Plattform zur Diskussion. Hier sind unsere Tipps für Quellen zur Inspiration und zum Austausch. Kennst du weitere? Dann schreibe uns unter sonja@beautifulfuture.de.

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